Rabe im Flug
Der Rabe
© Alfons Pillach
Der Rabe saß in einem Turm
und kaute einen toten Wurm.
Der Burgherr war in jener Nacht,
weil Lärm im Turm war, aufgewacht.
Es war der Rabe, der laut krächzte,
als ob ein alter Balken ächzte.
Der Burgherr sprach zu Frau Gerlinde:
„Steig bitte aus dem Bett geschwinde,
denn, wenn ich mich nicht mächtig täusche,
dann höre ich im Turm Geräusche.“
Gerlinde hatte wenig Mut,
drum nahm der Burgherr seinen Hut
und schlich im Nachthemd und allein
in den verdammten Turm hinein.
Bald brüllte er: „Ich hab’ den Dieb!“
und gab dem Raben einen Hieb
mit seiner wuchtigen Laterne.
Der Rabe sah noch ein paar Sterne,
dann senkte er den Rabenblick,
gebrochen war nun sein Genick.
Der Burgherr forderte mit Wut:
„Rück mir heraus das Diebesgut!“
Der Rabe hauchte noch: „Idiot!
Du Schwachkopf schlugst den Falschen tot!“
Das war des Raben letzte Klage
an jenem rabenschwarzen Tage.
Der Burgherr hat herumgeflucht
und nach dem Diebesgut gesucht.
Doch fand er nur den toten Wurm
im Rabenschnabel hoch im Turm.
Wie hat der Burgherr dann gelogen,
dass sich im Turm die Balken bogen,
als seine Frau im Bette fragte,
was los war, und ihr Gatte sagte,
es habe nur der Wind bei Nacht
im Turme ein Geräusch gemacht.
Den Raben hat er nicht erwähnt,
stattdessen hat er nur gegähnt.
Am nächsten Tag ging die Gerlinde
hoch in den Turm mit dem Gesinde.
Und als sie dort mit ihnen putzte,
bemerkte einer, dass sie stutzte,
weil, leichenstarr seit einem Tag,
ein Rabe tot im Turme lag.
Da ahnte sie, dass Waldemar,
ihr Mann, ein Lügenbeutel war.
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Foto:
Rabe im Flug
16. Mai 2014
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